"Werte Damen und Herrschaften, bitte treten Sie weiter!" Hoch gestelltes Revers, eng gebundener Krawattenknoten, gefühlter Stechschritt durch die Glastür. "Willkommen in der Zugangsabteilung, in welcher sich die Sonderhafträume für die Angehaltenen befinden." Die Sprache ist hart und abgehackt. So richtig scheinen sich die Organe der Landespolizeidirektion Steiermark, Kurzhaarschnitt zehn Millimeter, noch nicht an das gewöhnt zu haben, was sie selbst wenig später als neue, als offene, als innovative Vollzugsarchitektur bezeichnen werden.

 

Kommenden Mittwoch geht das Schubhaftzentrum Vordernberg, auf halber Strecke zwischen ­Leoben und Eisenerz, in Betrieb. Entgegen der mitunter emotional geführten politischen Debatte über Schubhaft und Abschiebung sowie über die umstrittenen Überwachungsverträge, die an die externe Security-Firma G4S erteilt wurden, wirkt das Projekt auf den ersten Blick sympathisch, ja fast wohlvertraut gemütlich – sofern man angesichts der hierzulande praktizierten Rückführungspolitik denn überhaupt gewillt ist, sich auf solche Gefühlsdimensionen einzulassen.

"Es war uns von Anfang an bewusst, dass wir das Problem, wie Österreich mit Migration umgeht, als Gestalter nicht lösen können", sagt Michael Anhammer, einer der drei Köpfe von SUE Architekten, die den 2010 EU-weit ausgeschriebenen, offenen Realisierungswettbewerb für den Neubau einer zen­tralen Unterkunft für Schubhäftlinge für sich beanspruchen konnten. Unter den insgesamt 42 Teilnehmern fiel der Entwurf von SUE durch eine dem Raumprogramm zwar entsprechende, dieses aber bis an die Grenzen ausreizende Interpretation auf.

 

"Wir haben die Auslobungsunterlagen mehrfach gelesen, und irgendwann haben wir erkannt, dass zwischen den Zeilen eigentlich sehr viel Spielraum schlummert", erzählt Anhammer, nimmt auf einem der vielen bunten, von ihm bestellten Stühle des britischen Designers Jasper Morrison Platz, blickt stolz um sich, hebt die Augenbrauen und setzt schließlich an, um Bilanz zu ziehen:

 

"Ja doch! In sehr intensiver Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Inneres ist es uns gelungen, die Schubhaftpolitik, wie sie in Österreich bislang praktiziert wurde, von den baulichen Rahmenbedingungen her ein bisschen zu lockern, denn letztendlich darf man nicht vergessen, dass es sich bei einem Schubhaftzentrum um eine Einrichtung handelt, in der Menschen fest­gehalten werden, die sich nichts Kriminelles zu Schulden haben kommen lassen.

 

"Was sich von außen betrachtet mit Betonmauer, Gitterzaun und einer ganzen Armada an Überwachungskameras gegen Gebirgs­panorama und herumstehende Kuh- und Pferdefauna abschottet, gibt sich innen großzügig, freundlich und hell. Die raumhohen Glasscheiben und hölzernen Gestaltungselemente in der Fassade bringen etwas Rhythmus in die sonst so strenge Baukubatur. Ein wenig erinnert die Architektursprache an die in Österreich in den letzten Jahren errichteten Volksschulen und Kindergärten. Hier wird, das wird auf den ersten Blick klar, auf baulicher Seite alles Mögliche unternommen, um das Unerträgliche erträglicher zu machen.

 

"Eigentlich hätten wir die Fenster zu den Innenhöfen hin vergittern müssen", erklärt Anhammer. "Aber was ist das für eine Geste für Menschen, die einfach nur auf ihre Ausreise oder bestenfalls auf ihre Asylunterlagen warten?" In der Ausreizung der Ausschreibungsunterlagen des Bundesministeriums für Inneres (BMI) ist es gelungen, stattdessen raumhohe, zehn Zentimeter breite Lüftungsflügel einzubauen. Ganz ohne ­Gitter, ganz ohne zusätzliche ­Einschüchterungsapplikationen. Alpine Frischluft ist garantiert. Fliehen kann man trotzdem nicht.

 

Während die Hafträume allen Bemühungen zum Trotz nüchtern eingerichtet sind, richtet sich das Hauptaugenmerk auf die Allgemeinbereiche. Eigens abgetrennte Zonen für Kochen, Essen und Wohnen sorgen dafür, dass sich kleine Grüppchen bilden können. Dass man hier nicht von Abteilungen und Hafträumen, sondern von Wohngruppen und Schlafräumen spricht, ist übrigens ein Verdienst der Architekten. Laut BMI soll das Wording für künftige, vergleichbare Projekte eins zu eins übernommen werden.

 

Das Interieur ist eine Mischung aus Jugendherberge, Designhotel-Lobby und Low-Budget-Chic. Die runden Tische und Jasper-Morrison-Stühle könnten in jedem besseren Slow-Food-Restaurant zwischen Amsterdam und Barcelona stehen. Und hinter der hochwertig wirkenden Holzvertäfelung an der Wand verbirgt sich billigstes Brettsperrholz, das üblicherweise in der Verpackungs- und Verschiffungsindustrie verwendet wird.

 

Auch in den Gängen gibt es immer wieder kleine, respektvolle Details zu entdecken. Neben dem Eingang zum multikonfessionellen, mit hochflorigem Teppich ausgekleideten Gebetsraum beispielsweise gibt es eine Nische für Schuhe sowie ein Waschbecken zum Füßewaschen. Schließlich stammt ein Großteil der Schubhäftlinge, das lehrt einen der Blick in die Statistik, aus islamischen Ländern. Die im Alltag üblichen Rituale können die unfreiwilligen Bewohner dieser Einrichtung auf diese Weise problemlos weiterpraktizieren.

 

"Wie immer bei derart diffizilen, umstrittenen Projekten muss man sich als Architekt mit viel Zynismus herumschlagen", meint Michael Anhammer. "Und die Polemik wird sicherlich noch zunehmen." Tatsächlich aber habe das neue Schubhaftzentrum mit Luxusanstalt und Fünf-Sterne-Etablissement nichts zu tun. Vielmehr, so Anhammer, wolle man den Menschen, die sich in der unglücklichen Situation befinden, hier sein zu müssen, die Wartezeit so angenehm und so würdevoll wie möglich gestalten: "Wir fühlen uns als Anwälte dieser Menschen. Am liebsten würde ich sie alle umarmen."

 

Konzipiert ist das 20 Millionen teure Bauwerk (Gesamtinvestitionsvolumen rund 30 Millionen Euro) für insgesamt 200 Schubhäftlinge. "Die Kapazität des Anhaltezentrums übertrifft den heutigen Bedarf noch bei weitem", erklärt Albert Grasel, Chefinspektor und stellvertretender Menschenrechtskoordinator des BMI. "Aber man weiß ja nie, wie sich die Zukunft entwickeln wird. Fest steht jedoch: Dieses Gebäude wird mit Sicherheit die neue Benchmark für offenen Vollzug sowie für die Schaffung adäquater Räume für staatliche Hoheitsaufgaben sein."

Warum ausgerechnet bei diesem Projekt, das derart viel Potenzial zum internationalen Best-Practice-Beispiel im Umgang mit Migranten und Flüchtlingen aufweist, der Staat einen wichtigen Teil seiner Verantwortung abgibt und die Überwachung des Schubhaftzentrums teilweise an das privatwirtschaftliche, gewinnorientierte Security-Unternehmen G4S auslagert, bleibt ein Rätsel. Das Prozedere wird von Verfassungsrechtlern heftig kritisiert.

 

Bleibt zu hoffen, dass die Software eines Tages der Hardware folgt, dass sich Vater Staat in seiner Migrationspolitik davon inspirieren lässt, was die Architektur hier bereits beispielhaft vormacht. Im Augenblick deutet noch nicht vieles darauf hin.

 

Quelle: Wojciech Czaja, DER STANDARD, Album, 11.1.2014